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Autodiebe überlisten elektronische Wegfahrsperren
Was für ein Fang. Die Frankfurter Ermittler der AG 178 haben kürzlich Mercedes S-Klasse,
Audi A8 und BMW X5 im Wert von rund drei Millionen Euro beschlagnahmt. Alle gestohlen im Rhein-Main-Gebiet und am Frankfurter Flughafen - trotz High-Tech-Wegfahrsperre. Von einer "völlig neuen
Dimension des Autodiebstahls" spricht Jürgen Linker von der Frankfurter Kripo, "mit neuen Strategien und Arbeitsweisen überwindet das Milieu der organisierten Kriminalität die elektronische Wegfahrsperren". Da
knackt man schon lange nicht mehr Autotüren und Lenkradschlösser, sondern manipuliert modernste Elektronik: Spezialisten zapfen direkt die Steuersoftware an oder wechseln gar das
komplette Steuergerät aus. Selbst größere Schäden am Fahrzeug nehmen sie in Kauf. Diebesbanden aus Osteuropa Beim polnischen Chef der zehnköpfigen Diebesbande fanden die Beamten dann auch
Motorsteuergeräte. Die Ermittler haben festgestellt, dass in Osteuropa, besonders in Polen, ein illegaler "Ersatzteilmarkt" für hoch entwickelte Elektronik entsteht. Profidiebe lassen dort Steuergeräte für Motor- und Wegfahrsperre fertigen, die dann nur noch gegen die Originale
ausgetauscht werden müssen. "Noch schneller entwenden die Täter einen Wagen, wenn sie den Steuercode der Software kennen und ihn dann manipulieren", erläuterte Kriminaltechniker Wolfram Thönnes vom
Bundeskriminalamt vor Elektronikexperten in Baden-Baden. Er beschäftigt sich seit 1995 kriminaltechnisch mit der Wegfahrsperre. Milliarden von Zugangs-Codes Während sich der Zugangscode mit bis zu 4,3
Milliarden Kombinationen praktisch unlösbar verschlüsseln lässt, liegt der brisante Steuercode oft frei auf der Datenautobahn. Die Diebe müssen nur die "Auffahrt" finden, die beispielsweise im
Motorsteuergerät liegt. Diese Geräte "besorgen" sich die Elektronik-Diebe mittlerweile direkt bei Autohändlern und Werkstätten: rund zweihundert gestohlene Kfz-Diagnosegeräte suchen
Sonderkommissionen der Kripo derzeit in ganz Deutschland. Aus dem Eeprom (Programmierbarer Speicher) der Steuergeräte lassen sich dann mit einfachsten
Diagnosegeräten eigentlich geheime Daten auslesen. Wolfram Thönnes: "Die Täter kennen sich mit den Datenstrukturen in den Eeproms sehr gut aus und ändern gezielt nur wenige Bytes".
Einfach lässt sich die Wegfahrsperre auch über so genannte Bypässe (Überbrückungen) umgehen. Diese "Brücke" nutzen Werkstätten zu Diagnosezwecken. Wolfram Thönnes: "Ob
die Softwareroutine in den Bypass verzweigt oder die reguläre Wegfahrsperrenroutine durchläuft, hängt oft nur an einem einzigen Byte". Selbst Firmeningenieure verkaufen Software
An den Quellcode der Software kommen Diebe heutzutage leicht, denn diese brisanten Informationen lagern nicht mehr nur beim Kfz-Hersteller. Entwicklung und Fertigung
elektronischer Module werden häufig zu Fremdfirmen im In- und Ausland verlagert. Die Verwaltung der Daten ebenfalls. Für die Montage im Fahrzeug erhalten die Hersteller letztlich
oft nur noch die fertige Blackbox (Steuergerät mit integrierter Software). So ließ ein süddeutscher Automobilhersteller in Ungarn hochwertige elektronische
Wegfahrsperren herstellen, die aber immer wieder geknackt wurden. Hintergrund: Ein ungarischer Ingenieur soll der Automafia einen Decoder verkauft haben, mit dem sich die Fahrzeuge problemlos öffnen ließen.
Freie Werkstätten haben Zugang zu Codes Die Gruppenfreistellungsverordnung (GVO) innerhalb der EU, nach der die Autohersteller auch freie Händler oder markenunabhängige Werkstätten versorgen muss, bringt neue
Probleme. Die Diagnosetools können im Ausland unkontrolliert gehandelt werden, ebenso wie technische Informationen zu Wegfahrsperren. Für die Kfz-Industrie heißt es deshalb, die
Vertriebswege für Elektronikteile abzusichern, soweit sie die Wegfahrsperrenfunktion betreffen. Trotz des Handels mit "brisanten Informationen" ist Kriminologe Wolfram Thönnes überzeugt,
dass "die Wirksamkeit der elektronischen Wegfahrsperren unbestritten ist". Die Zahlen geben ihm Recht: Die Zahl der gestohlenen Fahrzeuge ging seit 1994 von 145.000 auf 57.400 im letzten Jahr zurück.
Kurz und knapp
Plattformstrategie begünstigt Diebstahl Der Trend zur einer Plattform für mehrere Automodelle oder sogar für mehrere Hersteller, erleichtert den Autodieben die Arbeit: Um Kosten zu sparen, vereinheitlicht man den
Installationsort der Steuergeräte. Das BKA rät deshalb: Gefährdete Module sollten nur noch nach dem Zufallsprinzip installiert werden, so dass der Täter zuerst mal die relevanten
Bauteile suchen muss. Für die Autohersteller eine undenkbare Lösung.
Wegfahrsperren in vier Generationen 1993 kam die erste Generation als elektrische Wegfahrsperre auf den Markt. Die Stromversorgung von Anlasser, Benzineinspritzung oder Zündung wurde unterbrochen. Der
Code war in einem Transponder integriert oder musste über die Tastatur eingegeben werden.. Die zweite Generation erfüllt die Anforderungen der Versicherungswirtschaft und greift elektronisch in das Motorsteuergerät ein. Meistens angesteuert über Festcode-Transponder bei einem offenen Datentransfer.
Wechselcode-Transponder, eine verschlüsselten Datenübertragung oder auch die "elektronische Verblockung" kennzeichnen die dritte Generation. Ein Softwaretool "verheiratet" oder
verblockt einzelne wichtige Module. Sie sind dann nicht mehr ohne weiteres austauschbar. In der vierten Generation der Wegfahrsperre werden zusätzlich Schlüssel oder Tacho in die Steuergeräte integriert. Sie
müssen sich als anwesend und zum Fahrzeug gehörig identifizieren oder sind gar in den Rechenalgorithmus eingebunden. Die Daten kommunizieren über den CAN-Bus. |